Kambodschas unterGRUND Drucken E-Mail
Bericht einer Erfahrung:

Kambodschas unterGRUND

von Horst Hoheisel , März 2008
Ein Ausstellungsprojekt von Horst Hoheisel und Sebastian Brandt
Meta House, Phnom Penh, 2008

Was hat mich eigentlich nach Kambodscha gebracht, in ein Land, von dem ich vor meiner Reise dorthin nur ein paar Geschichts-Brocken kannte, herausgebrochen aus meiner Studentenzeit 1968: Vietnamkrieg, Bombardierung Kambodschas durch die USA, Pol Pot und die Khmer Rouge, die schillernde Politik eines Prinzen Sihanouk . Alles lag weit zurück, verhallt wie die Märsche der achtundsechziger Demos.
Kambodscha heute? Da fiel mir nur ein: eines der ärmsten Länder der Welt, zwischen Thailand und Vietnam gelegen, internationales Tribunal über einige alte Männer aus dem Führungskader der Khmer Rouge. Die lebten dreißig Jahre nach dem Morden der Khmer Rouge unbehelligt in ihrem Land.
Ich wurde im Dezember 1944 geboren, wuchs in der westdeutschen Nachkriegszeit auf, und lebte auch fast dreißig Jahre „unbehelligt“ von den Verbrechen der Nationalsozialisten. Oder wuchs ich auf im langen Schatten eines mir nicht bewussten, aber manchmal doch ahnungsvoll gefühlten Schweigens? Auch ich begann, wie so viele aus meiner Nachkriegsgeneration erst im Zuge der achtundsechziger Studentenrevolte das Schweigen zu brechen, meine Eltern zu fragen, was habt Ihr in der Nazizeit gemacht, wo standet Ihr, wie ward Ihr verwickelt, schuldig, oder – Hoffnung des Kindes: nur mitgelaufen?
Da studierte ich schon den Beruf meines Vaters, wurde wie er Forstwissenschaftler und promovierte mit einer Ökosystem-Analyse eines tropischen Regenwaldes in Venezuela. Regenwald, den habe ich Kambodscha wiedergefunden und Phnom Penh liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Caracas. Das waren die schönen Erinnerungsmomente der Reise.
Aber irgendetwas aus dem langen Schatten der unbewussten Erinnerung eines auf der Flucht geborenen Kriegskindes arbeitete im unterGRUND meines Bewusstseins. Ich studierte noch ein zweites Mal: diesmal Kunst, eine Leidenschaft seit meiner Kindheit. Nach dem Studium zog es mich aus der „reinen“ Kunst abstrakter Skulpturen immer stärker hinein in die künstlerische Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. Meine Arbeiten wurden als Negativ-Denkmale oder Gegen-Denkmale, Counter - Monuments, bekannt. Dies war der öffentliche Teil meiner Erinnerungsarbeit. Doch der für mich persönlich wichtigere war die Wirkung in meine Familie hinein. Meine künstlerischen Arbeiten zum Nationalsozialismus halfen meinem Vater noch als alter Mann, so alt, wie die in Kambodscha Angeklagten, sein Schweigen zu brechen, durch Risse und Spalten brach stückweise seine Geschichte hervor und nicht nur seine, auch die von Onkel und Tanten: unsere Familiengeschichte im „Dritten Reich“.
So öffnete mir die Kunst eine neue Nähe zu meinem Vater und zu meiner Familie, eine Nähe von ganz anderer Art und Tiefe, als sie die Nachfolge im väterlichen Beruf als Forstwissenschaftler mir jemals hätte gewähren können.
Aber was hat das mit den paar alten Männern, ehemaligen Führern der Khmer Rouge, zu tun, denen jetzt in Phnom Penh ein sehr teurer internationaler Gerichtshof den Prozess machen will. Bevor der Prozess überhaupt begonnen hat, sind die knapp 60 Millionen Dollar, die das Ausland für den Prozess bereitgestellt hat, schon aufgebraucht. Gestern auf unserem Ostermontag-Familienausflug hörte ich auf der Autobahn zwischen Leer und Groningen im Autoradio, dass Kambodscha weitere 110 Millionen Dollar Prozesskosten von den ausländischen Geldgebern fordert.
Ich erinnere mich an das tägliche Ritual , den Preis für eine Motorrad-Rikscha , genannt Tuk-Tuk, auszuhandeln, an das Feilschen auf den Märkten, an die Souvenir – Verkäufer von Angkor. Alle wollten Dollar von uns und zwar möglichst viele. Das hungrig-arme Land schien an einem Dollar-Tropf zu hängen. Die eigenen Währung (Riel) bekamen wir nur als Wechselgeld zurück.
Sind die fünf alten Männer der Khmer Rouge Führungsriege eine „Ware“ auf einem internationalen Markt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Der „Weltmarkt“ produziert diese „Ware“ mit jedem Krieg unaufhörlich weiter. Sie wird nie knapp.
Die Gesichter der alten Männer habe ich zuerst in der Süddeutschen Zeitung gesehen, an den Tagen nach Ihrer Verhaftung. Die Artikel über die Verbrechen, derer sie angeklagt werden sollten, hatte ich mit Sorgfalt gelesen. Denn in einigen Monaten sollte ich gemeinsam mit dem Erfurter Künstler Sebastian Brandt, einem meiner ehemaligen Studenten an der Bauhaus Universität in Weimar, ein künstlerisches Projekt zur Erinnerung an die Khmer Rouge in einem deutschen Kulturhaus: dem Meta House in Phnom Penh parallel zum internationalen Gerichtshof realisieren. Das Goethe Institut in Bangkok förderte unser Projekt.
Unsere Ausstellung ist schon vorbei, der Prozess hat noch nicht begonnen. Wir aus dem Westen sind schnell und die dort im fernen Südost-Asien, die Kambodschaner, die Khmer, haben sie überhaupt ein Interesse, diesen vom Ausland gewollten Prozess zu führen?
Während unserer Zeit in Kambodscha wurde die erste Anhörung eines der alten Khmer Rouge Männer sofort vertagt. Denn die Anklageschrift war nur in Englisch verfasst. Der Angeklagte verstand aber nur Khmer und Französisch.
Zu unseren ersten ganz subjektiven Eindrücken von Kambodscha zählte das Empfinden, das Land würde vom Ausland dominiert und die Ausländer lebten ihre eigene westliche Welt im Südosten Asiens ohne die Mühe und Geduld aufzubringen, sich auf die fremde Sprache und Kultur einzulassen.
Auch die Besucher unserer Ausstellungseröffnung waren fast ausschließlich Ausländer, Künstler, Sozialarbeiter, Entwicklungshelfer der zahlreichen Non Governement Organisations NGO´s. Nur wenige Kambodschaner kamen. In keinem Land der Welt gibt es so viele NGO´s wie in Kambodscha, hat man uns erzählt. Unter den Gästen war auch die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des internationalen Tribunals Dr. Helen Jarvis, eine beeindruckende Frau in verantwortlicher Position, aber auch sie eine Ausländerin. Auf dem Podium einer Diskussionsveranstaltung zu Kunst und Erinnerung, veranstaltet vom Meta House und der Konrad Adenauer Stiftung, saß ich zusammen mit Louis Bickford, einem Experten für Menschenrechte (International Center for Trasitional Justice) aus New York auf dem Podium und mit Sophiline Cheam Shapiro eine Choreografin aus Kambodscha, aus deren Familie die Khmer Rouge alle Männer ermordet hatten. Sie emigrierte in die USA und kehrte in ihre Heimat zurück. Das Publikum der Podiumsdiskussion waren bis auf wenige Kambodschaner wiederum Ausländer.
Doch zwischen der Sprache und den Geschichten der kambodschanischen Choreografin und der Sprache des Künstlers aus Europa und des Menschenrechtlers aus Amerika öffnete sich ein wortleerer Raum. Es war der Zwischenraum zwischen der äußeren Sicht der Ausländer auf Kambodscha und der inneren Sicht einer Kambodschanerin, die Verfolgung, Exil
und Rückkehr durchlebt hat.
Immer wieder stießen wir auf solche Leerräume , selbst im dichtesten Verkehrsgewühl Phnom Penh´s . Es war der „leere Raum“ zwischen den neuesten Modellen vierradgetriebener Großraum Luxus-Jeeps und den unzähligen kleinen überladenen Mopeds; oder der Leer-Raum zwischen einer weißen, überlangen Stretch-Limousine, wie ich sie nur aus New York kannte, und den Tempelstätten von Ankor, zwischen denen sie VIP´s (Very Important Persons) hin und her fuhr; oder der leere Raum zwischen den digitalen Kameras der Touristentraube auf einer Tempelspitze von Angkor und der über dem Dschungel untergehenden Abendsonne; oder der leere Raum über dem Mekong zwischen dem Winken der Touristen vom Dach eines schnellen Ausflugsbootes und dem Zurückwinken der Khmer aus ihren langsam dahinziehenden Fischerbooten. Oder der leere Raum zwischen den Bomben der USA, (von denen einige wie eine Allee den Eingang des Minen-Museums bei Angkor säumen,) und den Minen des anschließenden Bürgerkrieges, die heute noch vergraben sind; oder der leere Raum zwischen dem Luxushotel, in dem die Richter des internationalen Gerichtshofes wohnen, und der Palmhütte eines Reisbauern; oder der leere Raum zwischen den kambodschanischen und den internationalen Richtern, oder der leere Raum zwischen den Opfern und Tätern , der leere Raum zwischen den Schädelpyramiden aus den Massengräbern und den Totenköpfen der T-shirts im Souvenirshop der Killing Fields von Choeung Ek. Es geht um die Zwischenzeilen zwischen Shooting Range und Killing Fields und Royal Palace auf dem Sightseeing-Angebot in den Tuk Tuk´s , den Motorrad Rikschas Phnom Phen´s.
Das Wesentliche unserer Reise und unserer Arbeit waren diese Zwischenräume, in deren Leere wir uns nur fremd und behutsam tastend bewegen konnten.
Auch in unserer Arbeit ging es um den leeren Raum: einen imaginären Zwischenboden zwischen den Sandsteinplatten der Tempel von Angkor und dem quadratischen Fliesenraster des Foltergefängnisses Tuol Sleng. Es war ein Boden, der alle Sicherheit unter den Füßen verloren hatte und ins Gleiten geriet. Als Fries zog sich dieser zerbrechliche Erinnerungsboden aus Kambodschas heiligem Erbe des alten Khmer-Reichs und dem Verbrechen der Khmer Rouge über die Wände unseres Ausstellungsraums. Nur mit den Augen war er betretbar. Den realen Boden des Ausstellungsraumes bedeckte ausgetrockneter Schlamm des Mekong. Durch die Zwischenräume der Trockenrisse und Spalten erschien eine Schrift in Khmer. Je mehr Menschen barfuss auf dem fruchtbaren Schlamm des Mekong, der Lebensader Kambodschas, in der Ausstellung herumgingen, desto mehr Zwischenräume sprangen auf und gaben immer mehr Worte frei. Es waren Worte von Pol Pot. Sie scheinen nach dreißig Jahren immer noch in wort-leeren Räumen des Schweigens zwischen den Kambodschanern zu hängen. Reden über die Khmer Rouge Zeit, das machen die Ausländer. Erst besuchen sie die Tempel von Angkor und dann die Killing Fields von Choeng Ek. Sie sind gleichzeitig Kultur- und Völkermord-Touristen, auch wir! Die Masse der Khmer schweigt zur blutigen Vergangenheit und lächelt ihr Zwischenraum-Lächeln.
Zu unserer Arbeit gehörte aber auch der leere, nicht darstellbare, doch wahrnehmbare Zwischen-Raum, der sich zwischen unsere , aus westlicher Kultur und westlichem Kunstwollen geschaffene Installation aus Mekong-Schlamm und den meist realistisch in Öl gemalten Schreckensszenen von Folter und Mord der kambodschanischen Künstler im Meta House spannte.
Dieser kulturelle Zwischen-Raum war für uns, Sebastian Brandt und mich, das Wesentliche unserer Reise und unserer Arbeit in Kambodscha. Zwischen den unbestimmten Grenzen dieses Zwischen-Raumes finden wir keine festen Antworten sondern nur unsichere Fragen.
Erinnern sich die Khmer auf andere Art als wir uns der Vergangenheit erinnern? Das zentrale Bekenntnis unserer vom Juden- und Christentum geprägten Kultur lautet: „Das Geheimnis der Erlösung heißt: Erinnerung“. Nur durch Erinnern können wir vermeiden, dass eine grausame Geschichte sich wiederholt. Die Buddhisten glauben, wenn sie an die Vergangenheit rühren, dass die bösen Geister aus der Vergangenheit zurückgerufen werden und mit ihnen sich die Geschichte wiederholt. Woher nehmen wir die Gewissheit, dass unsere Überzeugung die Wahrheit ist und die Khmer sie zu übernehmen haben?
Wir bauen große Denkmale aus Säulen, Obelisken, aus Marmor und Bronze, um der Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft und Völkermord zu gedenken. Auf den Killing Fields sind die aus den Massengräbern ausgegrabenen Schädel der Opfer zu einer Pyramide aufgeschichtet. Ist das nicht pietätlos, würdelos?
Eine Gruppe buddhistischer Mönche aus dem gleichen Kloster in dem auch Pol Pot Mönch war, bevor er als politischer Führer den neuen Menschen erschaffen wollte und deshalb fast zwei Millionen Menschen ermorden ließ, besuchte unsere Ausstellung und fand die Schädelstätte von Choeng Ek überhaupt nicht würdelos sondern eine angemessene Mahnung. Denn mit dem Tod wird der Mensch wiedergeboren und sein Schädel wird im gleichen Moment zum bloßen Objekt. Zur Erinnerung an die Toten stellen die Buddhisten keine Grabsteine auf, sondern bieten ihnen Speisen und Getränke an. Wie anders sähe bei diesem Ritual das Denkmal für die ermordeten Juden Europas mitten in Berlin aus?
Während unsere westlichen Regierungen auf Veränderungen in der Gesellschaft mit Reformen und neuen Gesetzen steuernd Einfluss zu nehmen versuchen, sagten uns die buddhistischen Mönchen, dass die Veränderung nur vom Einzelnen kommen kann. Der einzelne Mensch muss seine innere Haltung ändern. Das ist die Vorraussetzung, dass sich auch die Gesellschaft ändert. Jeder einzelne Kambodschaner müsste beginnen, sein aus der grausamen Zeit der Khmer Rouge stammendes Misstrauen gegenüber den Nachbarn abzubauen. Wenn die einzelnen Khmer beginnen würden, sich einander vertrauensvoll zu öffnen, dann sei auch Hoffnung auf eine Veränderung der Gesellschaft.
Als ich Choeng Ek besuchte, fiel es mir schwer über den unbefestigten Boden zu gehen, in dem der Regen und der Abrieb der Touristenschuhe immer wieder neue Kleiderfetzen der ermordeten Opfer freilegt. Ich würde dort gerne ein System aus leichten Stegen bauen, damit die Besucher nicht auf und zwischen den Massengräbern herumlatschen. Die Stege könnten Informationen tragen zu den Opfern aber auch zu den Tätern. Über sie erfährt man wenig oder gar nichts. Aber ist das nicht wieder meine in Deutschland geschulte Gedenkstätten –Ästhetik?
Unsere säkulare Ordnung fordert Gerechtigkeit, fordert die Bestrafung der Täter grausamer Verbrechen noch zu ihren Lebzeiten. Auch deshalb wird das internationale Tribunal gegen die fünf alten Männer, mehr als 30 Jahre nach ihren Taten, vor der Weltöffentlichkeit veranstaltet. Doch nach buddhistischem Glauben werden auch diese alten Männer nach ihrem Tod wiedergeboren. Allerdings haben sie mit ihren grausamen Taten ihr Karma so geschwächt, dass sie wahrscheinlich auf einer niedrigeren Stufe wiedergeboren werden. Warum in diesem Leben strafen?
Nur wenige Khmer haben uns ihre Geschichten aus der Pol Pot – Zeit erzählt oder aufgeschrieben. Es waren alles Geschichten von Opfern, von ermordeten Großeltern, Vätern, Müttern und Geschwistern , von Deportationen, von Zwangsarbeit und Leid. Voller Verlegenheit und schüchtern teilten die Menschen uns ihre Geschichten mit. Ich musste an Argentinien denken, an die Madres (Mütter) von der Plaza de Mayo, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Seit über dreißig Jahren demonstrieren sie jeden Donnerstag mit einem Foto ihrer vermissten Kinder um den Hals vor dem Regierungspalast in Buenos Aires. Dreißig tausend Opfer waren es in Argentinien. Wie würden hier in Kambodscha die Straßen aussehen, wenn jeder ein Bild eines Opfers aus seiner Familie öffentlich um den Hals tragen würde. Und die Täter? Wo sind sie? Es waren doch nicht nur die bildbekannten fünf alten Männer, die jetzt angeklagt werden. Wo sind die 10.000, 100.000 vielleicht eine Million weiterer Täter? Sie waren meist Kinder-Täter und -täterinnen damals. Wenn auch sie heute ihr Foto um den Hals tragen würden, wie sähen die Straßen von Phnom Penh aus, würden wir ihnen in Schulen, Verwaltungen, Ministerien begegnen? Wir als Fremde, könnten wir noch unterscheiden zwischen Opfern und Tätern? Wie hilflos wären wir?
Kann man von den Khmer verlangen, sie sollten ihre Geschichte aufarbeiten wie die Argentinier? Auch dort gab es zunächst eine Amnestie für die Täter der Militärdiktatur.
Und wir in Deutschland, wie lange hat das Aufbrechen der zähen, braunen Schlammschicht aus der Nazizeit bei uns gedauert. Wie viele ehemalig Nazitäter bauten unsere Bundesrepublik mit auf, in Verwaltung , Gerichten, Schulen und Ministerien.
Gibt es da doch eine Verbindung zwischen den alten Männern vor dem Tribunal in Kambodscha und unserer Geschichte? Bestimmt nicht so einfach wie einer der kambodschanischen Künstler es in sein Bild im Meta House gemalt hat: das Hakenkreuz zusammen mit der Khmer Rouge Fahne. Auch ist es nicht so einfach wie ich es in der Beschilderung der Killing Fields las: Die Verbrechen von Pol Pot und den Khmer Rouge übertrafen die Verbrechen von Adolf Hitler und den Nazis. Immer wieder stoße ich auf diese Instrumentalisierung des Holocaust in anderen Ländern , um ihre, oft aus ganz anderen Zusammenhängen erlittenen Verbrechen zu gewichten.
Wir Deutschen scheinen aber mit dem von unseren Vätern (auch alte Männer heute, wenn nicht schon straflos gestorben) begangenen Zivilisationsbruch als Parameter zu wirken, mit dem alle Verbrechen und Genozide in der Welt immer wieder verortet werden. So scheint es doch kein reiner Zufall gewesen zu sein, dass Sebastian Brandt aus der ehemaligen DDR und ich, Kriegs- und Flüchtlingskind baltendeutscher Eltern, in Polen geboren und in der BRD aufgewachsen , in diesem uns so fremden Kambodscha mit seiner Khmer Rouge – Geschichte konfrontiert wurden. Wir haben unsere Erinnerungsarbeit als einen unterGRUND, als eine brüchig schlammige Kunst, voller Risse (Mekong - Pol Pot) und mit doppeltem Boden (Angkor-Tuol Sleng) geformt. Vielleicht hätten wir als Warnung vor dem barfüßigen Betreten des unterGRUNDs noch das in Kambodscha bei T-Shirt-Touristen beliebte Schild: DANGER MINES! aufstellen sollen. Denn Erinnerung ist immer auch vermintes Gelände. Manche haben deshalb Angst sie zu betreten.
Nachbemerkung:
Sebastian Brandt und ich, wir haben uns bei der Arbeit immer wieder gefragt, mit welchen Recht wir in dieser uns sehr fremden Kultur der Khmer als Künstler aus dem Westen eine Arbeit zur Erinnerung einer kambodschanischen Geschichte machen, die nicht unsere Geschichte ist. Wir wollten es uns nicht so leicht machen wie deutsche Politiker, die verkünden: „Am Hindukusch wird unsere Freiheit verteidigt!“
Wird da nicht einer anderen Kultur ihre Freiheit genommen, indem wir versuchen unsere westlichen Werte einfach mit Gewalt ihr überzustülpen wie die Säcke, die von den Besatzern den Gefangenen über die Köpfe gestülpt werden, um ihnen die Orientierung zu nehmen, damit wir sie in die von uns bestimmte Richtung führen können.
Vielleicht sollte man statt Soldaten und Entwicklungshelfer zunächst eine Vorhut Künstler in ein Land mit anderer Kultur schicken. Denn sie haben den Blick für - und hoffentlich auch den Respekt vor dem Fremden, dem Anderen und das Gefühl , was an Eigenem und Fremdem sich zu einem neuen Ganzen vielleicht ästhetisch zusammen fügen ließe und was überhaupt nicht zusammenpasst.
Jedes Mal, wenn ich im Fernsehen die Bilder von Stammesräten in Afghanistan sehe, ihre Kleidung, ihre Haltung, ihre Bewegungen, ihre Art zu sprechen und miteinander umzugehen wird mir klar, wie sich die Ästhetik ihrer allein äußerlich wahrnehmbaren Lebensformen von uns unterscheidet. Wenn ich dann eine Delegation unserer westlichen Politiker genauso betrachte, dann sehe ich allein schon im Vergleich der ästhetischen Erscheinungsformen, dass sich da kein Bild einer Demokratie nach westlicher Vorlage zusammenmalen lässt. Die Farben und Formen der verschiedenen Kulturen beißen sich! Und wir haben Krieg.
Vielleicht könnten Künstler über den Weg des Schönen, nach anderen Umgangsformen zwischen den Kulturen suchen. Politiker haben meist keinen Sinn dafür, dass Schönheit, Ästhetik auch ein Menschenrecht ist. Wir haben viel Schönes in Kambodscha gesehen und erfahren.
Dazu gehört besonders die Begegnung und Zusammenarbeit mit Yen Sokhim. Er war nicht nur unser kambodschanischer Assistent , Dolmetscher und Fahrer, sondern unser „Fährmann“, der uns immer wieder von der Insel der Ausländer mit hinübernahm in die Welt der Khmer bis hinein in seine eigene Familie. Er öffnete uns auf sehr intelligente und sensible Weise wenigsten einen Spalt weit die Tür zur fremden Kultur. Dort, wo wir sie für ihn sichtbar verletzten, wie z.B.: mit dem Fries aus den Böden von Angkor und Tuol Sleng, führte er immer wieder hinterfragende Diskussionen mit uns. Er litt unter dem „leeren Zwischen-Raum“ zwischen der Größe des alten Khmer-Reiches, der Khmer Rouge Vergangenheit und dem heutigen armen Kambodscha und seiner politischen Führung.
Yen Sokhim ist „nur“ ein Moped-Taxifahrer, der für das Meta House die Flyer verteilt und Botendienste macht. Doch in ihm stecken große intellektuelle Fähigkeiten. Bekäme er eine Chance, er könnte etwas für sein Land bewegen. Bestimmt mehr als es zwei Künstler aus Deutschland mit einer Kunst-Installation zur Erinnerung an die Khmer Rouge – Verbrechen können.
Im unterGRUND Kambodschas gibt es nicht nur eine verbrecherische Vergangenheit, es gibt auch das Potential dieser vielen jungen Menschen wie Yen Sokhim. Ihm sagen wir ganz besonders : Danke!
Unser Dank gilt auch dem Goethe Institut Bangkok für die finanzielle Unterstützung des Projektes und dem Meta House für die Einladung zu dem Projekt, mit dem wir versucht haben, ein wenig unterGRUND zu gehen.
März 2008
Horst Hoheisel